Alban Berg

Barbara Meier - Alban Berg

Könighausen & Neumann Verlag

36.-€


Hand auf´s Herz - Wann sind Sie zuletzt durch belebte Gegenden spaziert und dachten: Da pfeift ja jemand was von Alban Berg?

Hand an´s Ohr - Wenn bei Ihrem neulichen Spaziergang durch belebte Gegenden jemand was von Alban Berg gepfiffen hätte, wäre es Ihnen aufgefallen?

Hand vorm Mund- Wenn ja, hätten Sie etwas entgegnen können?


Während die zeitgleiche moderne Kunst für exorbitante Auktionspreise, gut frequentierte Ausstellungen und hemmungslose Massenvermarktung steht, fristet die Klassische Musik der Neuen Wiener Schule ein Schatten-und Nischendasein. Noch immer ist es gängige Praxis, ein aufzuführendes Stück beim Konzertabend an die zweite Stelle zu setzen, damit die Besucher weder später kommen noch früher gehen. Als Tonträger noch Gewicht hatten, war der Anteil klassischer Musik am Gesamtumsatz bei 5 % (das reicht knapp für den Einzug in den Bundestag), der Anteil klassischer Moderne 5% von diesen 5%, demnach 0,25% vom Gesamtumsatz (das entspricht der Anzahl von Verweigerern bei Volksbefragungen in totalitären Regimen). Zum Regimesturz reicht das erfahrungsgemäß nicht - angesichts der Weltlage haben sich der Rezensent und das Klangstudio Pohl zusammengetan und veröffentlichen eine hymnische Besprechung der soeben erschienenen Alban-Berg Biographie der Musikwissenschaftlerin und Germanistin Barbara Meier. Die anvisierte Erweiterung des Hörerkreises steht unter dem Motto: "Der Berg ruft - um Antwort wird gebeten."

 

Auf knapp dreihundert Textseiten, die sich Leben und Werk widmen, entsteht ein plastisches Charakterbild des Komponisten und seiner Umgebung, gestaltet durch episodische Skizzen, die bunt durcheinandergewürfelt von fernen Zeiten und Gegenwartsnähe künden. Familienzwiste, Talente und Abneigungen, Freundschaften und Unterwürfigkeit, Leselust und Debattierfreude, Liebe und Eifersucht, Krankheit und Hypochondrie,- nichts Menschliches war ihm fremd.

Man wird nostalgisch bei der bloßen Aufzählung der kulturschaffenden Bekannten und angewidert beim Blick hinter die Kulissen. Man schwärmt mit bei der Schilderung des Paares Alban und Helene Berg partiturlesend in der Straßenbahn auf dem Weg ins Konzert und wendet sich ab über die Aufforderung an die Ehefrau, wenn sie im öffentlichen Raum männliche Wesen sehen konnte: "Setz dich anders´rum!" Man leidet mit einem fragilen Asthmatiker und staunt über seinen Umgang damit: rauchen, rauchen, rauchen.

Befremdend wirkt sein Bekenntnis einer Verwandtschaft mit der Titelfigur seiner ersten Oper, Wozzeck dürfte von üppigen Schlemmereien mit Zigarren und hochwertigem Hochprozentigen sowenig wissen wie von Kaffeehaus-Schlendrian, Urlaubsresidenzen und langem Ausschlafen. Der moralische Hochmut des gegenwärtig Schreibenden endet aber sofort bei der Beschreibung des im Ersten Weltkrieg durch Matsch und Kot watenden Berg und erst recht beim Jammerbild des todkranken und verarmten in seinen letzten Lebenstagen.

Berührend sind Bergs Eigenschaften, die ihn in stürmischen Zeiten zum humanen Fels in der Brandung machen: Freundschaftsfähigkeit, Ironie und Mitgefühl. Vom intellektuellen Hurra - Patri(di)otismus 1914 ließ er sich nur bedingt anstecken, seine eingeschränkte Tageszeiten-Kampfbereitschaft läßt den Schluß zu, daß Alban Berg der erste Leser von "Asterix bei den Briten" war. Und vom Anblick verwundeter und krepierender Soldaten ließ er sich desillusionieren, was Sinnhaftigkeit von Krieg anbelangt, damit stand er leider ziemlich alleine.

Seinem Kollegen Anton Webern, bekannt für Kürzestkompositionen und mit Ausführungsanweisungen überfrachtete Partituren, war er wohlwollender Freund und Unterstützer und humoriger Überbieter. Leicht läßt sich die liebevolle Boshaftigkeit Bergs vorstellen, als ein fiktives Webern-Stück konziperte, bestehend aus einem einzigen Takt, umzingelt mit Vortragsvorschriften für ein zu spielendes Notationszeichen - eine Viertelpause.

Auf diesem Seitenweg betreten wir nun endlich das Berg-Werk, quantitativ überschaubar (aus Scham über seine geringe Produktivität wurde die Numerierung nach opus 6 eingestellt), qualitativ und historisch von höchster Wichtigkeit. der Leher Schönberg, das Idol und Vorbild Mahler, die Ideengeber von Bach bis Wagner und Brahms werden vorgestellt und gewürdigt, die Stücke Bergs erklärt und kommentiert. Sie müssen zwar im Buch gesucht werden ,- es gibt kein Register und die Kapitelüberschriften verraten nichts, - aber der Finderlohn ist immens. Hier gibt es Hörhilfen im besten Sinne, einladend bei den verhältnismäßig zugänglichen Streichquartetten und beim Violinkonzert, herausragend beim hochkomplizierten Kammerkonzert, ausführlich Musik und Text verknüpfend bei den beiden Opern Wozzek und Lulu.

Letztere, dem Nazi - Frauenbild diametral entgegengesetzt, wurde übrigens im November 1934 in Berlin uraufgeführt. Die Autorin berichtet von einem empörten Zuschauerruf "Heil Mozart" worauf der Dirigent, der vier Tage später seinen Posten verlor, sich mit den Worten zum Publikum wandte: "Sie irren sich, das Stück ist von Alban Berg." Hier endet die Überlieferung, ich möchte nicht ausschließen, daß es ihm kollektiv engegenhallte: Davon haben wir nichts gewußt!

 

Rezensent: Frank Rüb, Novembetr 2018