The Doors

Greil Marcus

Greil Marcus- The Doors Kiepenheuer&Witsch-Verlag € 9,99

Das im Mittelalter ersonnene, nach seinem Erfinder benannte Gedankenspiel von Buridans Esel besagt, dass das Tier, ohne weitere Entscheidungshilfen gleichweit von zwei Futterquellen entfernt, verhungern würde. So in etwa stellt sich die Lage dar angesichts der Erinnerungen von John Densmore: Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors und Ray Manzarek: Die Doors, Jim Morrison und ich, beide im Hannibal-Verlag für jeweils 19,90 Euro erschienen.

Robby Krieger verzichtete auf die Rolle des lachenden Dritten (was zur Aura der Gruppe auch nicht gepasst hätte) und schrieb nicht. Für beste Nahrung sorgt der amerikanische Musikkritiker Greil Marcus, einem breiteren Publikum hierzulande mit seinem leider nicht mehr lieferbaren Vorgängerwerk über Dylans Like a rolling stone bekannt geworden. Ein ganzes Buch über ein einziges Lied? Mit den ersten Kapiteln des vorliegenden Bandes wird schnell klar, dass er auch ein Buch über eine Refrain-Zeile schreiben könnte. Und mit den einleitenden sieben Zeilen zu den biographischen Eckdaten, dass eine lapidare Aufzählung Würde und Ehrfurcht verströmen kann.

Für Ausführlicheres verweist der Autor auf Danny Sugermans „Keiner kommt hier lebend `raus“, der zusammen mit „Apocalypse now“ dafür sorgte, dass 1980 mehr Doors-Platten verkauft wurden als in jedem Jahr zuvor. Marcus selbst, ebenso großer Film- wie Musikkenner, wechselt quicklebendig zwischen Songanalysen, Konzerterlebnissen und reichlich Querverweisen, beim Aufbau einzelner Kapitel, in der Regel mit einem Doors-Titel benannt, dürften The End, When the music`s over, und Light my fire Pate gestanden haben.

 

Während Sugermans Werk bei allen Meriten blinder Verehrung („Persönlich halte ich Jim Morrison für einen Gott.“) und nebulöser Beschwörung (nur mit der Angabe der eingeworfenen LSD-Menge und der Dehnung der Stücke auf soundsoviel Minuten bleibt das Miterleben vage) verhaftet bleibt, bemüht sich Marcus um adäquate Formulierungen und analytische Feinarbeit. Es finden sich glänzende Bilder („Man könnte eine Münze in den Teich seiner Stimme werfen, und man würde sie nie aufklatschen hören.“) und sanfte Umwandlungen von Four-letter-words durch Reduktion: „Das Wort fuck ist tief in den Sound eingebettet, vergraben, verändert aber jedes Mal, wenn Morrison es ausspuckt, instinktiv seine Form- es verkürzt sich, fuk, es verzerrt sich, fut, es zerspringt, fak, es rollt in sich zusammen, fug.“ Hat Iokaste ihren Sohn Ödipus vielleicht einfach nur falsch verstanden?

Solche Passagen schlängeln sich meilenlang durch das ganze Buch, wunderschön beim großartigen „Crystal ship“, immer ergänzt mit Würdigung der Instrumentationskünste und angereichert mit Abschweifungen über Monterey, Woodstock, Vietnam, die Tate/ La Bianca-Morde und gelegentlichen Hinweisen auf amerikanische Romanciers. Zwei längere Exkurse behandeln Pop-Art und Sechziger-Gedenkkultur auf der Folie des Oliver-Stone-Filmes. Hier gelingt dem Verfasser das nicht kleine Kunststück, klar und deutlich zu urteilen und gleichzeitig zu gegensätzlichen Meinungen einzuladen.

Das unterscheidet diese Teile vom Hauptinhalt. Zwar scheint mir lediglich ein Kapitel weniger gelungen (Soul Kitchen mit Morrison/ Van Morrison-Duell in der Mitte), und dieses bietet das schöne Leseerlebnis, nach dem ersten Absatz des nächsten Abschnitts über die Ed Sullivan-Show und Zensurversuche bei „Girl we couldn`t get much higher“ Marcus umgehend wieder in Hochform zu erleben, doch sind seine Wertungen manchmal zu apodiktisch. Warum er den Song „Waiting fort he sun“ nicht mag ist mir vollkommen unbegreiflich (das ist jetzt auch apodiktisch gewertet) und beim ebenfalls unterschätzten „Five to one“ lässt er sich gleich zwei Ansätze entgehen.

Wo gibt es eine treffendere Bestandsaufnahme der Hippie-Naivität als in der „Your ballroom-days are over“-Sequenz und wo ließe sich leichter zeigen, wie nahe Tiefsinn und Plattheit beieinander liegen, als im Vergleich des authentisch-raunenden und tobenden Endes der Studiofassung mit der misslungenen Variante auf Absolutely live?

Aber was war er denn nun? Poet oder Pseudo-Poet, Prophet oder Pseudo-Prophet, Prolet oder Pseudo-Prolet mit Hang zur Nabelschau abwärts?

Einerseits ging Densmore, wohl einiges gewohnt, diskret nachsehen ob der Geräusche willen aus dem Nebenzimmer, in dem sich Morrison und Nico befanden. Andererseits: Ist angesichts eines beliebten Achtundsechziger-Slogans die bitte um Love me TWO times nicht eine Bewerbung um Aufnahme ins Establishment?

Einerseits konnte niemand das Publikum vergleichbar in Bann ziehen- von Marcus gekonnt erklärt mit der Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung, dass minutenlang nichts passierte und der Ahnung, dass jederzeit alles passieren könnte, andererseits sind nicht nur die sattsam bekannten Beschimpfungen von oben herab legendär, es ging auch in die andere Richtung- Marcus zitiert folgende Ausrufe: Blödmann, Arschloch, Wir wollen Mick Jagger.

Und bei aller Detailverliebtheit, mit der genial gedichtete und gesungene Zeilen beschrieben werden, die Häufung erzeugt eine gewisse Gleichförmigkeit, die sich zusammenfassen lässt. An einer Stelle verwendet der Autor, wahrscheinlich ohne die Herkunft zu kennen, Goethes Formulierung vom offenbaren Geheimnis, ansonsten benutzt er gerne die Wendung einer Reise, von der man als ein Anderer zurückkommt. Wer hätte das gedacht- mit den Doors gegen den Anstieg des Kohlendioxid-Ausstosses?

Doch wenn Jim Morrison eines nicht verdient hat, dann das Resümee, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Fordern wir lieber alle geneigten Hörer und Leser auf, sich in einem Raum des Greil Marcus-Instituts für kreatives Schreiben niederzulassen um eine Leerstelle des Buches zu füllen: Versuchen Sie einmal, im Stile des Verfassers über die Artikulation von „Music ist the only friend- until the end“ einen Absatz zu verfertigen. Die Tür steht jedem offen, aber der letzte macht bitte das Licht aus.

Rezension: Frank Rüb, April 2020