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Mike Oldfield - 50 Jahre Tubular Bells

Mike Oldfield - 50 Jahre Tubular Bells
Deutschlandfunk €18,36 monatliche Rundfunkgebühr


Die für meinen Musikhörer-Werdegang zum Ende der Teenager-Zeit sehr wichtige Puristen-Zeitschrift „HIFI-exklusiv“ testete im letzten Heft des Jahrgangs 1990 zum ersten Mal einen Tuner, den Accuphase T-11. Begründet, bzw. rechtfertigt, wurde dies mit einem beeindruckenden kurzen Auszug eines ganz normalen Wochenprogrammangebots im deutschen Hörfunk. Bevor die öffentlich-rechtliche Radiokultur kaputtgespart wird oder der zerstreute Zeitgenosse mit mehr als Häppchen-Informationen überfordert ist, zur Abwechslung mal eine Rezension über eine Radiosendung.

Deutschlandfunk - das bedeutet täglich acht Stunden Politik, meist halbstündlich Nachrichten, zur vollen Stunde oft zehn statt der sonst üblichen fünf Minuten, Diskussionen, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, Buchkritik, Hörspiele - und exzellenten Rockjournalismus. Wer die „Rock-et-cetera“-Gedenksendung wenige Tage nach dem Tode Jeff Becks gehört hat, darf zustimmend nicken. Und dann - die „Lange Nacht“, jeden Samstag von 23 Uhr bis Sonntag 2 Uhr, eingerahmt und unterbrochen von vier Mal Nachrichten, Deutschlandlied und Europahymne, also Hayden und Beethoven. Originell, kompetent und vielstimmig bei breitem Themenspektrum. Genannt seien Sport (Der argentinische Mittelstürmer Valdano wird von einem Jugendlichen ungläubig angestaunt „Du hast mit Maradona gespielt???“ und grummelt genervt „Ich habe im Finale 1986 das 2:0 geschossen!!!“) Literatur (Während ein Konkurrenzsender eine Einführung in die „Brüder Karamasow“ so ungeschickt gestaltet, dass der danach zum Roman greifende Neuleser erst mal ausruft „Aber das sind ja drei!“, brauchte die Sprecherin hier fünf Minuten, um die Genialität der Anfangspassage von „Schuld und Sühne“ herauszuarbeiten) und Musik.

Die ersten fünf Minuten mussten auch bei der hier thematisierten langen Nacht den Ausschlag geben, denn Mike Oldfield gehört nicht zu meinen Favoriten. Es wurden grandiose, hochinformative und empathiegesättigte zwei Stunden, dann bin ich eingeschlafen, freiwillig und mit Absicht übrigens, denn es ging danach um die folgenden Werke… Nun kann man die Entwicklung einer Karriere natürlich auch nachlesen, gelungene Beispiele wurden ja schon besprochen, doch der Reiz des Zuhörens ist fraglos ein besonderer, erst Recht in der Stille einer Sommernacht. Lineares, chronologisches Erzählen, angereichert von einer wohltuenden Stimmenvielfalt (der zu Wort kommenden Weggefährten und der wechselnden Sprecher) ermöglichen ein inniges Miterleben weit über die Hauptfigur hinaus. Zwischen Familienleben und Schule, den ersten Auftritt mit der Schwester in kleinen Clubs und der Genese des Meisterwerks, zwei weit auseinanderliegende Besuche der Geschwister im Zimmer des anderen: Nur Sally besitzt einen Plattenspieler, als der junge Mike gerade musikinfiziert ist, wie ein Wahnsinniger Gitarre übt und aus diesem Grund öfter mal reinschaut oder vielmehr -hört. - Was ist das? - The fifth! - Am nächsten Tag sind sämtliche Klassikplatten der nächstgelegenen Bibliothek ausgeliehen. Jahre später der Gegenbesuch, Mike hat mittlerweile ein Aufnahmegerät und im Unterricht besonders bei Sibelius aufgepasst. - Was ist das? Wo kann man das kaufen? - Das habe ich gerade komponiert. Zwar ist am Radiogerät nicht zu sehen, wessen Augen weiter aufgerissen waren, aber eben deshalb ein dreifaches Hoch auf die menschliche Vorstellungskraft und auf diejenigen, die sie beflügeln. Die Schwingen der Imagination tragen uns nun mitten ins Aufnahmestudio, die Schwingen eines Nachtvogels allerdings, denn die Kreativität in England ist auf einem Level, welches unbekannten Künstlern tagsüber keine Räume bietet und die Aufputschmittel-Industrie muss ja auch von irgendetwas leben. Glücklicherweise sind die im Hellen anwesenden Gruppen konziliant und erlauben Mike auf Anfrage die Benutzung versehentlich liegengebliebener Instrumente, spielen kann er sie ja offenbar automatisch. Trotzdem weiten sich auch die Augen seines Produzenten immer mehr. als Oldfield diktiert, was darüber hinaus noch angeschafft werden muss und sie rollen bedenklich, als das Wort „Röhrenglocken“ fällt. Die frisch eingetroffenen sind zu fragil, um die Session zu überstehen und ein zweites Exemplar muss her - und kommt her… Große Bewunderung sei dem legendären Instrumenten-Ansager vom Ende der ersten Seite gezollt, der auf Anhieb für die Sendung ein absolut originalgetreues „Mandolin“ verlauten lässt. Immerhin brauchte kein geringerer als Sean Connery seinerzeit achtzehn Versuche für ein zufriedenstellendes erstes „Bond. James Bond“. (Vielleicht waren es sogar 27, denn das habe ich aus dem Sender aufgeschnappt, der die Anzahl der Brüder Karamasow um ein Drittel kürzte.)
 

Bericht: Frank Rüb

Februar 2024