Keith Richards - LIFE

Autobiographie

Keith Richards – Life

Heyne Verlag

12,99€

 

Im Jahre 1953 erhielt Winston Churchill für seine Geschichte des Zweiten Weltkrieges den Literatur-Nobelpreis. Knapp sechzig Jahre später veröffentlicht Keith Richards den legitimen Nachfolgeband und Stockholm schweigt. Bis heute! Ist das Establishment nachtragend oder einfach nur urteilsschwach? Am Inhalt seines Buches kann es jedenfalls nicht liegen. Neben den Schlachtbeschreibungen rund um die dienstälteste Rock-Band der Welt liefert der Autor ein breites Themenspektrum. Richards bietet Studien zur Frömmigkeit im Nachkriegs-England („Wir sind sonntags nie in die Kirche gegangen, wir wußten nicht mal, wo sie war“), gewährt Einblicke in seine Mnemo-Techniken („Das nächste woran ich mich erinnere ist, daß Anita mir einen blies“), betreibt im Dienste der Wissenschaft gesundheitsgefährdende Experimente mit Aufputschmitteln („Ob auf Drogen oder nicht – Gimme Shelter hätte ich so und so geschrieben“) und läßt im richtigen Moment Talentiertere die Arbeit übernehmen („Mick, mach mal was in Richtung, I met a god-damned Bitch in somewhere City“).

Auch jenseits von treffsicheren Pointen merkt man dem Autobiographen die Freude an seinen Geschichten an. Der unterhaltsame Stil sorgt für gleichmäßiges Interesse unabhängig von der Bedeutung der behandelten Epoche für die Rolling Stones. Völlig glaubwürdig erscheint Richards‘ bescheidene Dankbarkeit, wenn Musiker auf Jamaika ihn als ihresgleichen akzeptieren – unmittelbar nach den Höchstleistungen von „Beggars Banquet“ bis „Exile on Main Street“. Den Weg dorthin pflastern nicht nur die sattsam bekannten Skandalgeschichten. Der Leser erlebt einen neugierigen, aufnahmefähigen Gitarristen mit beachtlicher Bandbreite und wertvollen Hinweisen für Hobbymusiker. Was er über das Verhältnis von Kunstschaffendem, Kunstwerk und Kunstgenießendem zu sagen hat ist klar und eingängig formuliert, hält inhaltlich und emotional jedem Vergleich stand. Goethe konnte es vielleicht noch feiner ausdrücken, aber den Nobelpreis hat auch er nicht bekommen.

„Dichtung und Wahrheit“ wäre auch kein schlechter Titel für die Aussagen über die Bandkollegen, bei den streitlustigen achtziger Jahren paßt eher „Faust“ – die von Charlie Watts landet in einer famos erzählten Passage mitten in Jaggers Gesicht und Richards verhindert mit unendlicher Geduld „Faust – Zweiter Teil“. Nur einer wird nicht ganz fair behandelt und der kann sich nicht mehr wehren. Bei dieser Gelegenheit sei noch auf einen manchmal nicht leicht erträglichen Zynismus des Autors hingewiesen (das Resümee von Altamont, daß „nur“ Meredith Hunter ermordet wurde, läßt schlucken).

Anlaß genug, die Geschichte nicht nur von den Siegern, bzw. Überlebenden schreiben zu lassen. So versabschieden wir uns von Keith Richards, der auf dem letzten Foto seines Buches zufrieden mit Gitarre, Zigaretten und, dem Anschein nach, Orangensaft (?) auf seiner Couch sitzt mit beeindruckender Bibliothek hinter sich und wenden uns dem Gründer der Rolling Stones zu.
 

Rezensent: Frank Rüb, Mainz

Januar 2018