Joni Mitchell

"Ich singe meine Sorgen und male mein Glück!

Joni Mitchell – Ich singe meine Sorgen und male mein Glück

Gespräche mit Malka Marom

Kampa-Verlag € 23,-


Es ist ein angenehmes Gefühl, wenn private und öffentliche Lektüre harmonieren. Persönlich gerade mit der Abteilung „Briefe, Tagebücher und Gespräche“ der Goethe-Ausgabe des Deutschen Klassiker-Verlages beschäftigt, traf das hier zu besprechende angeforderte Rezensionsexemplar aus der Gespräche-Reihe des Kampa-Verlages ein. Knapp zwanzig Bände sind erschienen, für Musikliebhaber seien die Bände mit David Bowie und Leonard Cohen erwähnt. Und wie beim Dichterfürsten gibt es eine Leben und Werk-Chronologie sowie einen Stellenkommentar – Johann/Johnny und Joan/Joni auf Augenhöhe.

Drei ausführliche Interviews auf 240 Seiten aus den Jahren 1973, 1979 und 2013 mit der Journalistin, Produzentin und Freundin Malka Marom über Leben, Lieder und Literatur enthalten reichlich Material für die Berechtigung dieses Anspruchs. Vor allem die im ersten Teil das Gespräch begleitenden beigefügten Songtexte dürften auch ohne zugehörige Musik für sich bestehen und als großartige Lyrik durchgehen. Was für Goethe das Eingangsgedicht „Hegire“ zum Westöstlichen Divan bedeutet, überträgt Mitchell auf ihre LP „Hejira“.

Schließlich übten sich beide in jungen Jahren am kritischen Bibelstudium. Die Version der skeptischen Roberta Joan Anderson sieht so aus: Adam und Eva haben zwei Nachkommen, einer tötet den anderen, wie geht es weiter? And we´ve got to get ourselves back to the garden.

Die Sehnsucht nach dem Paradies (woher eigentlich angesichts des durchschauten Zustandes?) blieb nicht im Schlamm von Woodstock hängen, sondern führte zur spirituellen Flucht nach Osten – von Kanada aus betrachtet ja auch irgendwie logisch, zumal der Süden zu Inka und Azteken von einem Landsmann schon besetzt war. Neben einem Denkmal für die Sklaven auf den Baumwollplantagen braucht die Rock and Roll Hall of Fame, die Mitchell 1997 aufnahm, dringend noch eines für buddhistische Mönche. Inhaltlich bleibt das Thema, trotz erfolgreicher Suchthilfe eines Tibeters, sprunghaft und im vagen, ebenso das übrige intellektuelle Programm, die amerikanische Ausgabe von Hesses „Narziß und Goldmund“ muß ein anderes Ende als das Original haben. Aber beim bekannten Ausdruck „produktives Missverständnis“ liegt der Fokus ja auf dem ersten Wort.

Inspiration holte sich die Künstlerin eben nicht im l Ging, sondern frühmorgens um vier Uhr an der Zapfsäule: Bei allem Respekt für Mark Knopflers Geniestreich, das Geschimpfe eine Mitarbeiters im Elektronikgeschäft zum Money für nothing-Text zu verwenden, der Tankwart, der die dritte Strophe zu „Barangrill“ formte, ist die faszinierendere Figur und die interessantere Geschichte.

Tiefes Verständnis beweist Mitchell für ihren Lieblings-Philosophen: Sie zitiert, von Marom angeregt, eine halbe Seite aus „Also sprach Zarathustra“ (auch das sprunghaft, die Reihenfolge stimmt nicht), sie ist, im Gegensatz zur Interview-Partnerin, auf der Höhe der Forschung (Nietzsche war kein Antisemit) und hat eine psychologische Einsicht, die ihrer Qualität wegen vollständig wiedergegeben wird. „Das ist die Philosophie der einsamen Wölfe. Ihre Schwächen wurden auf folgende Weise offenbar. Wenn ich mich allein und isoliert fühlte, dann fand ich diese Philosophie klar, schön und zutiefst wahr; doch wenn ich mich warm fühlte, den Menschen gegenüber wohlwollend war und andere umarmte – dafür und für die Liebe gab es in dieser Philosophie keinen Platz. Deshalb war ich nicht absolut einverstanden damit, auch wenn darin viel Wahrheit steckt.“ Also sprach Joni, Zarathustra floh beschämt in seine Höhle und weinte bitterlich.

In den biographischen Passagen geht’s munter auf und ab, hin und her, Yin und Yang, Crosby und Nash, heimlich vielleicht auch Gin mit Young. Gelegentlich etwas larmoyanter Kulturpessimismus im jüngsten Gespräch von 2013, der sich über leeres Getue und fehlende Anmut bei Gegenwartssängerinnen beklagt, ist nach diesem Lebensweg vollauf nachvollziehbar. Eigenwillig und talentiert von Kindesbeinen an, denen nach der Polio-Erkrankung lebenslange Lähmung drohte, setzt jemand seinen Kopf durch und seine Fähigkeiten ein, Malerei, Dichtung und Gesang. Traditionelle Kritik an Schule, Autoritäten und Lehrern wird angereichert mit einem vortrefflichen Argument für ungerechte Benotung.

Apropos Kindesbeine: Lange vor Leonard Cohen, während der Zeit im Krankenhaus, wurde eine Nonne darauf aufmerksam und schlug schnell die Bettdecke darüber (mit den Worten „schamloses Flittchen“), um einen im Nebenbett liegenden sechsjährigen Jungen vor verfrühtem Sündenfall zu bewahren. Man kann sich die Erleichterung Mitchells vorstellen, als Eric Clapton mit offenem Mund zur Abwechslung mal auf Hals (ihrer Gitarre) und Hände stierte.

Mehr noch auf dem Griffbrett als im Leben war die musikalische Autodidaktin eine Meisterin der verschiedenen Stimmungen. Mit Gefühl, Gespür und Gehör ließ sie sich nichts vormachen, nicht von Toningenieuren, nicht von Mitmusikern und erhielt bestätigende Anrufe von Koryphäen wie Glenn Gould. Eine weitere Eigenart ihres Gitarrenspiels, die häufige Verwendung von sus-Akkorden, erklärt sie Malka Marom handwerklich korrekt, mit dem Hinweis auf das Changieren zwischen Dur und Moll und dem Effekt des so zu erzielenden verstärkenden Eindrucks beim Auflösen in einen Dur-Akkord, mit einer psychologischen Einsicht, die anders als bei Nietzsche zu hinterfragen ist: „ Sie (die sus-Akkorde) haben ein Fragezeichen in sich. Männer mögen sie deshalb nicht, sie mögen Klarheit, wie im richtigen Leben.“

Hat Mitchell zeitgenössischen Bands nur von hinten betrachtet und dachte der Haarlänge wegen, das seien Frauen? C sus, D sus, E sus, J Esus, alles dabei. Yes-Gitarristin Howe wagt sich bei „Your move“ gar an fis-moll 7 sus 4/E und löst dieses (leicht zu greifende) Ungetüm nach E-Dur auf. Und Sängerin Jo(a?)n Anderson (!!!) singt dazu „she hasn´t got time to make you a wife“. Welch wunderbar Geheimnis verbirgt sich hier?

Über das Thema Geschlechterrollen lässt sich mit diesem Buch auch eine ewige Menschheitsfrage klären, nämlich die, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Man pilgere zu New Yorker Central-Park, suche ein berühmtes Grab auf (Vorname: John, so viele Zufälle müssen System haben), rezitiere eine des Druckbildes wegen missverständliche Stelle und lausche, ob schallendes Gelächter zu vernehmen ist: „Was ist denn mit diesem schwedischen Musikpreis… du bist die erste Frau, die ihn erhalten hat, nach Paul Mc Cartney…“.

 

Rezension: Frank Rüb,

Mainz, Mai 2021