Martin Geck: Beethoven. der Schöpfer und sein Universum

Martin Geck
Beethoven. Der Schöpfer und sein Universum
Siedler-Verlag
€26.-
Dichter, Denker und Dirigenten pochen an die Pforte. Dazu jede Menge Zeitgenossen und Kollegen. Manche mit dem Taktstock, andere mit dem Holzhammer. Beethovens Kosmos bietet Raum für sie alle und Martin Geck gruppiert sie in gebührendem Abstand rund um den Schöpferthron. Um die Vielfalt dieser Studie zu veranschaulichen eine kurze unvollständige Namensliste: Shakespeare, Rousseau, Hölderlin, Hegel, Adorno, Bloch, Bach, Wagner, Debussy, Furtwängler, Bernstein, Napoleon, Goethe.
Der Autor, Musikwissenschaftler und Biograph, kennt sie alle und lädt den Leser ein auf eine im positiven Sinne weitschweifige, mäandernde Reise. Man kann sich damit begnügen, die Wahrheit in die Mitte zu legen, aber es ist fraglos interessanter, die Versuche, sie an den Rändern und den eigenen Anschauungen zu verorten, gegeneinander abzuwägen. Geck würdigt Toscaninis Ausspruch, im ersten Satz der Eroica weder Napoleon noch Alexander den Großen, weder das revoltierende noch das reflektierende Subjekt zu finden, sondern einen gewissen Herrn Allegro con brio; kritisiert Bernsteins leichtfertige Behauptung, der Beginn der Pastorale könne auch „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Nachricht der Erbschaft einer Million“ heißen und urteilt deutlich mit einer kleinen Prise Nachsicht über Furtwänglers tiefen, raunenden, titanischen Vortrag mitten im zerbombten Berlin während der Endphase des Krieges (natürlich die fünfte). Zur Entlastung des Komponisten führt er gleichzeitige Konzerte in London an. Hier hätte noch ein Hinweis auf die Häufigkeit der Beethoven- und Wagner- Aufführungen als Zeichen gegen Nazideutschland in New York und vor allem auf die Einstudierung der Neunten in Leningrad während der Hungerblockade folgen dürften. Apropos Leningrad: So schlimm und dämlich Ernst Blochs Blindheit gegenüber der UdSSR im allgemeinen und Stalin im besonderen ist, unter den sich zu Beethoven äußernden Philosophen gebührt ihm der erste Platz. Der Begriff Vor-Schein für zarte, glückverheißende Momente ist treffend gewählt und konsequenterweise erklärt Bloch Symphonie Nr.9 mit dem dritten Satz für beendet (An dieser Stelle bitte eine innige Gedenkminute für Anton Bruckner einlegen).
Problematisch der Vergleich der Eroica mit dem Gang der Phänomenologie des Geistes und Hegels Geschichtsphilosophie. Zeitlich und inhaltlich kohärent, wird dabei ausgeblendet, daß Haydns Scheinreprisen und Sonatensatzrondos ebenso wie Mozarts ungezwungenes Vereinen von Widersprüchlichem bereits in diese Richtung gedeutet werden können. In seinem eigenen Fach gibt sich der Autor keine Blöße, von der kreativen Aneignung von Bachs Fugen über die Selbstzweifel der Nachfolger und die Würdigung durch Wagner.
Hervorragend sind die kurzen biographischen Passagen über Beethovens Umgang mit dem Adel und sein Scheitern als Erzieher. Die Schilderungen der Beziehung Beethovens zu einzelnen Poeten zeigen Witz (Goethe), Nähe (Shakespeare) und faszinierend Fragwürdiges. Geck zieht Parallelen zwischen dem ersten Satz der Klaviersonate Nr.17 und Hölderlins Gedicht Patmos. Möge folgen wer mag, führt diese
Rezension nebenbei zum Kauf eines Lyrik-Bandes (Wir empfehlen die Ausgabe aus dem Deutschen Klassiker Verlag), wäre das ein schöner Nebeneffekt. Und die späten Hölderlin- Hymnen haben ja etwas von High-End.
Das Anliegen der HiFi-Branche hat er schon vor über 200 Jahren auf den Punkt gebracht (Vieles aber ist zu behalten. Und Not die Treue).